Cover
Titel
Bismarck im Film. Zum Wandel des Bismarck-Bildes in den Spielfilmen von 1914 bis 1942


Autor(en)
Lobinski-Demedts, Maja
Erschienen
Bremen 2021: Edition Temmen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Hering, Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig

Zum 200. Geburtstag des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815–1898) wurde in Wilhelmshaven im April 2015 ein neues Bismarck-Denkmal errichtet, das ihn lebensgroß mit Mantel und Säbel zeigt. Es ersetzt das im Zweiten Weltkrieg verloren gegangene Werk von Georg Meyer-Steglitz (1868–1929) aus dem Jahr 1905. Die Mittel dafür hatte der Drehorgelspieler und ehemalige CDU-Ratsherr August Dresenz (∗ 1948) gesammelt, der drei Jahre später Ehrenbürger der Stadt wurde.

Bismarck ist der am meisten durch Türme, Standbilder, Büsten und Gedenksteine gewürdigte deutsche Politiker. Überall in Deutschland entstanden vor allem nach seinem Tod steinerne Ehrungen. Mehr als 750 Denkmäler, darunter 230 Türme, 100 Standbilder, 55 Büsten und circa 270 Gedenksteine sowie 70 Ehrungen an Wäldern sind überliefert.1

Schon zu Lebzeiten, gerade zum 80. Geburtstag am 1. April 1895, und noch intensiver nach seinem Tod 1898 setzte eine kultisch anmutende Verehrung des Reichskanzlers ein. Nicht nur durch Bücher oder Vorträge, auch durch Wallfahrten zu seinem Mausoleum in Friedrichsruh wurde seiner gedacht. Schon bald entstand ein Bismarck-Mythos, der sich von der historischen Person ablöste. Gerade durch die Propaganda nationaler Verbände, wie des einflussreichen Alldeutschen Verbandes, wurde Bismarck zur Personifizierung eines radikalen Nationalismus mit expansiven außenpolitischen Vorstellungen. Die Uminterpretation Bismarcks zu einem auf Expansion drängenden Nationalisten, ja zu einem völkischen Politiker nahm jeder maßvollen Politik die Basis. Innenpolitisch wurde ein autoritär strukturierter Staat mit vormodernen Strukturen angestrebt. Der Rückgriff auf Bismarck wurde hier zum Leitbild für die politische Zukunft Deutschlands, das nicht nur die außenpolitische Ebene betraf, sondern gerade auch auf die gesellschaftliche und innenpolitische Form des Reiches zielte.

Die Konsequenzen für die deutsche Geschichte waren erheblich: Nicht nur wurde die Sehnsucht nach einem Bismarck-gleichen „Führer“ geweckt und wachgehalten. Zudem wurde die Akzeptanz der demokratischen Weimarer Republik durch die mit Bismarck begründete Ablehnung politischer Parteien im Bürgertum deutlich erschwert, ja gezielt delegitimiert. Daran konnten die Nationalsozialisten anknüpfen und diese Einstellungen für ihre Politik instrumentalisieren. Adolf Hitler (1889–1945) steuerte einen ganz anderen Kurs als Bismarck – und fand dafür dennoch vielfach Zustimmung, gerade im radikalen Nationalismus.2

Während die Denkmäler historisch und kunsthistorisch gut erforscht sind, standen die über Bismarck gedrehten Filme bislang nicht im Fokus der Forschung. Daher ist es sehr verdienstvoll, dass die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Maja Lobinski-Demedts in ihrer Untersuchung das Bismarck-Bild in den fünf zwischen 1914 und 1942 gedrehten Spielfilmen analysiert, in denen die Figur des Reichskanzlers im Zentrum steht. Dabei konzentriert sie sich auf die historisch-politische Relevanz dieser Werke. Neben den jeweiligen Filmen hat sie für die Darstellung der Entstehungsbedingungen die überlieferten Produktionsunterlagen und insbesondere die Rezeption in der Presse gründlich ausgewertet. Nach Ausführungen über Film als Geschichtsquelle und den Bismarck-Mythos untersucht sie chronologisch die einzelnen Filme und arbeitet deren Produktionskontext sowie die Rezeption beim Publikum heraus.

Der erste Spielfilm über Bismarck entstand kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Obwohl es zu dieser Zeit noch deutliche Vorbehalte gegenüber dem Kino gab, gelang es dem Regisseur William Wauer (1866–1962), auf dem Anwesen in Friedrichsruh drehen zu dürfen. Mit den Einnahmen sollte ein Bismarck-Nationaldenkmal bei Bingerbrück hoch über dem Rhein finanziert werden, das wegen des Krieges jedoch nicht mehr realisiert wurde. Zudem: Die Produktionskosten waren mit 40.000 bis 50.000 Reichsmark (RM) sehr hoch. Der gut 100 Minuten lange Film „Bismarck. Bilder aus dem Leben des großen Kanzlers“, der am 7. Februar 1914 in Berlin seine Uraufführung erlebte, war als Bilderbogen angelegt, der seinen Helden hymnisch verklärte. Anekdoten und das Drehen an Originalschauplätzen unterstützen den Eindruck, dass die historische Wirklichkeit zu sehen sei. Der Bismarck-Mythos, so die Autorin, wurde durch diesen Film entscheidend modernisiert (vgl. S. 202).

In der Weimarer Republik wurde ebenfalls mit großem Aufwand 1925 und 1927 ein zweiteiliger Stummfilm über Otto von Bismarck produziert. Preußische Tugenden wurden hervorgehoben, vor allem aber Bismarck als Führer der Deutschen stilisiert „und mit durchaus exklusiven Eigenschaften und legitimen – nicht unbedingt legalen – Sondervollmachten ausgestattet, dem die Deutschen dann, wenn er sich denn leibhaftig zeigen würde, folgen sollten“ (S. 203). Gerade die menschlichen Aspekte der Darstellung des Reichskanzlers trugen dazu bei, Vertrauen in die Führerpersönlichkeit aufzubauen. Zugleich wurde Frankreich zum ewigen Erbfeind aufgebaut. Letztlich zielte der Film auf eine Revision der Weimarer Staatsform. Ein eigenes republikanisches Selbstbewusstsein hatte sich nicht entwickelt, vielmehr blieb die autoritäre Kultur des Wilhelminismus weiterhin wirksam, was der Film verstärkte.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges entstanden 1940 und 1942 zwei weitere Bismarck-Spielfilme, die als nationalsozialistische Propagandafilme angelegt waren. Einerseits wurde Bismarck zum Vorläufer Hitlers, der sich gegen die Welt aufgrund seiner Persönlichkeit durchsetzt, andererseits die Notwendigkeit der Diktatur und die erforderliche Treue der Deutschen zum „Führer“ aufgezeigt. Kein geringerer als Wolfgang Liebeneiner (1905–1987) führte Regie und schrieb am Drehbuch mit.

Diese beim Publikum und der Kritik erfolgreichen Spielfilme bedienten Wünsche und Sehnsüchte der Zuschauerinnen und Zuschauer. War Bismarck 1914 noch sehr präsent, so entwickelten sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem von vielen als ungerecht empfundenen Versailler Vertrag entsprechende Hoffnungen auf eine Revision, die mit einer Führergestalt verbunden wurden. Dazu bot sich der Bismarck-Mythos an, der durch die Filme am Leben gehalten und aktualisiert wurde.

Lobinski-Demedts anregende Studie zeigt, wie notwendig die Analyse von Geschichtsbildern nicht nur in Spielfilmen ist, da sie das Geschichtsbewusstsein prägen und zugleich politische Wirkungen erzeugen. Indes vertritt die Verfasserin die These, dass Bismarck sich überlebt habe. Weder vereinzelte Äußerungen von Seiten der Alternative für Deutschland (AfD) noch der Bau des Denkmals in Wilhelmshaven lassen bei ihr Zweifel aufkommen – „der Bismarck-Mythos ist unwiederbringlich tot“ (S. 212).

Anmerkungen:
1 Sieglinde Seele, Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Türme, Standbilder, Büsten, Gedenksteine und andere Ehrungen. Eine Bestandsaufnahme in Wort und Bild, Petersberg 2005.
2 Vgl. Robert Gerwarth, The Bismarck Myth. Weimar Germany and the Legacy of the Iron Chancellor, Oxford 2005; Volker Ullrich, Der Mythos Bismarck und die Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65 (2015), Heft 13, S. 15–22, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/202983/der-mythos-bismarck-und-die-deutschen/ (17.02.2023).

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch